Gedruckt zu Ursel

Die Anfänge

Die Geschichte der Druckerei in Oberursel beginnt in Frankfurt. Das Städtchen selbst hatte rund 1000 Einwohner, seit 1444 Stadtrechte, Mauern und Türme, einen Wochenmarkt und als Grundlage für Müller und Weber einen wasserreichen Bach, den Urselbach, der auch der Stadt ihren Namen gab. Sie war weder Herrschaftssitz noch Ort gelehrter Studien, noch hatte sie reichsrechtliche Privilegien. Dies waren eigentlich die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Druckerei.

Stadtansicht von Frankfurt mit Umgebung 'Die Stadt Frankfurt' aus: G. Braun und F. Hogenberg 'Civitates orbis terrarum', Köln, 1572. Links im Hintergrund vor den Taunusbergen 'Vrsel'

In Frankfurt war Peter Braubach seit 1540 als Drucker tätig. Er stammte aus Braubach (Rhein) und blieb nach seiner Lehr- und Studienzeit, auch in Wittenberg (1529), der reformatorischen Theologie und der humanistischen Überlieferung eng verbunden. Sein Verlagsprogramm bis zu seinem Tod 1567 zeigt dies deutlich.

Wie alle Drucker in der Stadt muß er die Manuskripte, die er drucken will, dem Rat zur Genehmigung vorlegen. So heißt es im Ratsprotokoll vom 25.März 1557: „Peter Braubach, Drucker: Pit Ime zu uergünstigen ein Epistel von D.Joachimus Westphalus contra convicia (gegen die Schmähungen) Domini Calvini alhier an einen Predicanten geschrieben, trucken zu lassen.“ [IfS Ffm. Ratsprotokoll 1557]

Bitte um Druckfreigabe Bitte um Druckfreigabe des Braubach vom 25. März 1557 [IfS Ffm. Ratsprotokoll 1557]

Am gleichen Tag fällt die Entscheidung: „Petro Brubachio sol man sein begern daß er des Westphali Epistell contra convicia an einen Predicanten doch unbenennet desselbigen Namens ußgangen, trucken möge, füglich abschlagen.“ [IfS Ffm. Bürgermeisterbuch, 1557]

Die Schrift wird also zur Frühjahrsmesse 1557 nicht vorliegen. Aber die Zeit drängt. Der Streit zwischen den strengen Lutheranern, vertreten durch den Hamburger Hauptpastor D. Joachim Westphal, und den gerade aus Wallonien und England in Frankfurt eintreffenden Flüchtlingen war in einer heißen Phase. Sie waren ihres reformierten Bekenntnisses wegen geflohen und wollten sich nun in Frankfurt niederlassen. Johannes Calvin in Genf war ihr Fürsprecher. Das lutherische Abendmahlsverständnis, wie es in der Stadt vorherrschend war, war in Gefahr, insbesondere bei den Mitgliedern des Rates, seine Charakteristika zu verlieren. Jedes Versäumen eines gedruckten Beitrages bedeutete eine Verzögerung in der theologischen Auseinandersetzung um ein halbes Jahr bis zur nächsten Messe. Der Rat stimmt dem Druck nicht zu, um den Streit zwischen den Parteien zu dämpfen.

Drei Wochen später, am 15. April, schreibt Johann Cnipius, Rektor der Frankfurter Lateinschule, an Johannes Calvin. Er sendet ihm die neuen Schriften Westphals zu. Dabei ist diejenige, deren Druck in Frankfurt abgelehnt wurde und die Mahnung von Westphal an den Rat, die jetzt ins Deutsche übersetzt wurde. Beide Schriften wurden nicht in Frankfurt gedruckt, sondern „in vicinum oppidulo cui nomen Ursella esse“ (Im benachbarten Städtchen, dessen Namen Ursel ist). Dies betrifft die Drucke UD 2 und UD 1. [Corp.Ref.44 S.450]

Joachim Westphal / Titelblatt UD 002 Links: Joachim Westphal (1510 - 1574), Pfarrer und Superintendent in Hamburg
Rechts: Titelblatt des Druckes UD 002, Druckvermerk am Schluß: VRSELLIS. Execudebat Nicolaus Henricus. Anno 1557.


Da ist also im benachbarten Städtchen Ursel eine Druckerei, mit der die Lutherischen das Verbot des Rates umgehen können. Die Stadt liegt im Herrschaftsgebiet des Grafen von Ludwig von Stolberg-Königstein (1505-1574), der einige Zeit in Wittenberg studiert und in der Grafschaft 1540 die Reformation vollzogen hat. Wie kann das geschehen?

Hier wurde kein vorbereiteter Plan in die Tat umgesetzt, sondern pragmatisch gehandelt: Um eine Druckerei arbeitsfähig herzurichten, braucht es eine Presse, da braucht es Lettern und einen Vorrat an Papier, da braucht es Werkzeug und ausreichend Platz für die Zurichtung, da braucht es vor allem gelernte Setzer und Drucker und etliche Hilfskräfte. Im Ort selbst gab es keine Räume für einen Betrieb mit mehreren Mitarbeitenden, Arbeits- und Lagerräumen. Erst mußte das Gebäude der Frühmesserei an der Kirche frei gemacht werden, dann konnte es der Graf für eine kleine Druckerei mit einer Presse zur Verfügung stellen.

Der geeignete „Fachmann“, der die Verantwortung übernehmen kann, steht bereit: Nikolaus Henricus, etwa 1532 in Oberursel geboren, hat dort die Lateinschule besucht und wie viele seiner Altersgenossen in Frankfurt Ausbildung und Arbeit gefunden. Er arbeitet in der Werkstatt des Peter Braubach und er ist dem lutherischen Bekenntnis eng verbunden. Er will seinen Teil zur Stärkung des Glaubens beitragen, mithelfen, die rechte Lehre in Treue zu Martin Luther zu verbreiten und den Feinden des wahren Evangeliums zu widerstehen. Sein ganzes Verlagsprogramm steht im Dienste „rechter“ lutherischer Theologie. Sie ist prägend für die 40 Jahre seines Wirkens. Bei der Auswertung der Sachbereiche, denen seine Drucke zuzuordnen sind, wird sie offensichtlich. (siehe Spalte „Sachbereiche“ im Verzeichnis.)

Mehrere Hinweise belegen die enge Verbindung von Braubach und Henricus. So vermutet bereits Cnipius gegenüber Calvin am 2.April 1558, dass Peter Braubach Drucke aus Oberursel finanziert hat[Corp.ref. 455, Sp.121]. Als am 10.Juni 1557 Braubach die Erlaubnis zum Druck „etlich bücher in sacris von frembden orten herkommen“ beantragt, werden zwei genehmigt, „aber der anderen Büchlins halben sein begern abgeschlagen.“ Auch diese werden dann in Ursel gedruckt. Der Briefwechsel zwischen Frankfurt und Hamburg 1557/58 belegt zum einen die Ermutigung für Westphal zu schreiben, was er im Streit um das Abendmahlsverständnis für richtig hält und zum anderen die Gewissheit des Braubach, irgendwo („alicubi“)in der Nähe einen Ort zum Drucken zu finden.

Titelblätter von J. Brenz Titelblätter von J. Brenz, Pericopae, Ffm. Braubach, 1557 und Ursellis, Henricus, 1558

Seite 1023 Frankfurt / Ursel Seite 1023 der Frankurter un der Urseler Ausgabe aus der gleichen Werkstatt?

Ein anderes Beispiel für das Entstehen der Henricus Druckerei aus der von Braubach: 1557 erscheint in Frankfurt von Johann Brenz „Pericopae Evangeliorum“ mit neuem Titelblatt und Bogenzählung ab S. 1021. 1558 erscheint dann ein Titelblatt mit „Vrsellis, Nicolaus Henricus“ . Im Text, in der Satzgestaltung, Initialen, Typologie, den 22 kleinen Holzschnitten sind die Drucke identisch, sogar die Fehler in der Seitenzählung. Im Grunde ist heute nicht zu klären, welcher Teil wo von wem gedruckt wurde.

Ein anderer Fund ist an dieser Stelle noch zu erwähnen: Am 24. August 1550 schreibt der Theologe und Pädagoge Erasmus Alber an den Prediger Hartmann Beyer in Frankfurt. Am Ende des Briefes lässt er die Urseler grüßen. Beide haben dort Freunde, Alber hat einige Jahre dort gelebt. Grüße gehen auch an „Henricum Saccigerulum“, und gleich darauf an „Brubachium“ und „Egenolphum“ der ihm sein Gesangbuch schicken soll. Henricum Saccigerulum? Dazu schreibt mir Dr. Stephan Pelgen am 05.03.2012: „Die Chiffrierung unseres Urseler Druckers ist ja leicht zu durchschauen. Der Saccigerulus ist der „Sackträger“, womit jedes Kind schon sofort einen Nikolaus assoziiert.“

So muss man sich also die Gründung der Druckerei in Oberursel als ein Zusammenwirken mehrerer Interessenten vorstellen:

1. Dem Peter Braubach wird in Frankfurt eine Druckgenehmigung verweigert.

2. Hartmann Beyer, maßgeblicher lutherischer Prediger in Frankfurt, Freund von Braubach und in Ursel bekannt, gewinnt den Grafen in Königstein für das Projekt.

3. Der Ortsname wird zum Druckort erklärt, und das ist kein rechtlich bindender Akt. Es ist eine Deklaration.

4. Die Presse wird in den folgenden Wochen aufgebaut und in Betrieb genommen, immer in Absprache mit der Werkstatt in Frankfurt.

Eine derartige Praxis der Verwendung des Ortsnamens „Ursel“, „Vrsellis“ zur Vermeidung von Konflikten mit dem Rat der Stadt Frankfurt oder mit Konkurrenten, in Büchern, die aber tatsächlich in Frankfurt oder Mainz gedruckt worden waren, gab es bis zur Zerstörung der Druckerei 1622 immer wieder.


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