Gedruckt zu Ursel

In Schutt und Asche

Als die Stände in Böhmen nach dem Tod von Kaiser Matthias 1619 ihr Wahlrecht ausübten und Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz zum König wählten, nicht den Habsburger Kaiser Ferdinand II. kommt es zum Krieg. Mit ihm beginnt der erste Akt des 30jährigen Krieges. In der Schlacht am Weißen Berg bei Prag siegen am 8.November 1620 die Kaiserlichen. Auch wenn damit Friedrich die Macht in Böhmen verliert, gibt er nicht auf. Einer, der für ihn Partei ergreift, ist Herzog Christian von Braunschweig. Er hat ein Söldnerheer aufgestellt und trifft damit in der Schlacht bei Höchst zum ersten Mal auf Feldmarschall Tilly und sein kaiserliches Heer.

In der Meßzeitung , die Wendel Meckel in Ursel zur Herbstmesse 1622 druckt, können wir dazu lesen: „Als sich Christian von Braunschweig von dem Fuldischen Land nach empfangener Rantion (=Lösegeld) abgewandt, und bei Friedberg herausgekommen, hat er sich den 5. Juni in aller Eil mit 20.000 Mann in die Grafschaft Königstein einquartiert/ das Städtlein Ursel ohne einigen Widerstand eingenommen/in selbiger Nacht mit etlichem Volk unter dem Obristen Kniphausen auf das Schloß und Städtlein Höchst gerückt … doch die Besatzung hat sich tapfer gehalten. Deshalb ist am Nachmittag eine größere Macht aus dem Generallager von Ursel dahin abgeordnet worden.“

„Am 8., mehrheitlich aber am 9. Juni, welches war der Evangelischen Pfingstfest, haben die Soldaten des Braunschweigers in der ganzen Gegend und im Churfürstlich Maintzischen Land/ der Grafschaft Königstein/ mit Brennen und Plündern sehr übel gehauset/Obern Ursell/Ober Erlenbach/Weißkirchen/ Kirdorf/Stierstadt/Kalbach/Schwalbach/ Münster/ Kelkheim/ Eschborn/ Sossenheim/ Zeilsheim/ Nidda/ und andere mehr in Brand gesteckt, zum Teil ganz, zum Teil die Mehrzahl der Häuser abgebrannt.“ [UD 523Z S.70f.]


Schlacht bei Höchst
Der Kupferstich, der einigen Messzeitungen vom Herbst 1622 beigeheftet ist, zeigt die Schlacht von Höchst im Juni 1622. Tilly rückt von Osten her gegen die Truppen des Christian von Braunschweig. Oben Mitte ist Oberursel brennend eingetragen. (privat)

Wie stark das Gebäude und die Druckwerkstatt durch das Feuer gelitten haben, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall erschienen noch ca. 12 Urseler Drucke nach dem Brand, d.i. bei der Herbstmesse 1622 und der Frühjahrsmesse 1623. Zu den Beeinträchtigungen in der Gemeinde gehörte nicht nur der Brandschaden, dem zum Beispiel auch das Rathaus zum Opfer gefallen war, es waren auch die Plünderungen innerhalb der Mauern und außerhalb auf den Feldern. Die Söldner lebten von dem, was sie fanden und rauben konnten. Da gab es kein Pardon. Der Kampf um das Weiterleben erhielt danach für die Urseler höchste Priorität.

Auch in Schutt und Asche kann man jedoch Wertvolles finden. Durch Zufall wurden bei Grabungen in der St. Ursulakirche 1978 Zeugnisse aus den letzten Monaten der Druckerei entdeckt. Es war eine Handvoll Lettern, die zwischen Sand und Mörtel unter dem Fußboden direkt nördlich des Westeingangs lagen. Dem Ausgräber schienen sie doch ziemlich neu, aber da die alte Druckerei nur ca. 40 Meter vom Fundort entfernt war und nach dem Brand 1622 Planierungsarbeiten stattfanden, war der Weg vom Nutzungsort zum Fundort vorgezeichnet. Für das Jahr 1625 notiert die Kirchenrechnung eine Ausgabe von 16 alb. Lohn, dem Johann Bruckmann „vor dem Pflaster in der Kirchen zu bessern geben.“ [St.A Oberursel, Abt.11 Nr.2] Dies kann die Gelegenheit zur Planierung gewesen sein.


Das Letternmaterial war wertvoll, weil es für eine weitere Verwendung eingeschmolzen und neu gegossen werden konnte. Es war niemals Abfall, der weggeworfen wurde. Deshalb sind solche Funde von großer Seltenheit. Ich hatte zunächst keinerlei Vergleichsmöglichkeiten.

1986 half mir Professor Horst Heiderhoff, anerkannter Fachmann für Schriftguß und -satz, das Fundgut zu säubern. Es waren 107 Lettern und Blindmaterial, die er zu einem Block zusammenband, um sie zu schützen und ausstellen zu können. Sein Urteil zur Zeit der Herstellung war eindeutig: Erstes Viertel des 17. Jahrhunderts.


Lettern aus Mainz und Ursel
Buchdrucklettern: Links lose aus dem Fund Mainz, Karmeliterstr., rechts im Block gebunden die aus der Urseler Werkstatt.

1993 kam ich in Kontakt mit Stephan Pelgen, der 1986 bei Grabungen in der Karmeliterstr. in Mainz in einer Kloake 191 Lettern und Blindmaterial gefunden hatte. Weil er den Fund im Rahmen seiner Magisterarbeit auswerten und bewerten wollte, suchte er Vergleichsmöglichkeiten. Er fand sie in Oberursel. So wurden auch diese Lettern geprüft, beschrieben, geordnet, katalogisiert und schließlich für weitere wissenschaftliche Untersuchungen bekannt gemacht

Weitere Funde nach Oberursel und Mainz haben in den vergangenen Jahren ausgedehnte Grabungen in Wittenberg gebracht. Es sind ca. 3000 Lettern des 16. Jahrhunderts, die nun für eine gründliche Erforschung verfügbar sind. Dr. Daniel Berger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Curt-Engelhorn-Zentrum für Archaeometrie, hat nach 98 Analysen von Wittenberger Lettern auch 41 aus Mainz und Oberursel metallurgisch untersucht (energiedispersive Röntgenfluoreszenzmethode) und die Ergebnisse veröffentlicht. Im Vordergrund steht die Zusammensetzung des Letternmaterials, insbesondere die Anteile von Antimon und Zinn. Beim Pressendruck mußte stets das rechte Maß zwischen Härte (Papier wird beschädigt) und Plastizität (Letter verformt sich) gefunden werden. Berger schreibt: „Die Drucklettern von Mainz und Oberursel sind einzigartige historische und archäologische Dokumente des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Sie geben einen wertvollen Hinweis wie sich Buchdruck vollzog.“ [Berger, S.121f.]

Die Typen aus der Urseler Werkstatt sind, abgesehen von den noch vorhandenen Druckwerken, ein Beweis für die Arbeit an diesem Ort. Durch Folienvergleich konnte nachgewiesen werden, dass fast alle gefundenen Lettern unterschiedlicher Größe auf dem Titelblatt von UD 416 verwendet wurden.


Gleichzeitig markiert der Fund aber auch das Ende der Druckerei. Es war nicht allein der Brand, es war auch der Tod von Wendel Junghen (Im Steuerverzeichnis 1623 wird seine Witwe genannt), die Übernahme neuer Aufgaben und Ämter für Bartholomäus Busch (Ortsvorsteher in Bommersheim, dann Märkermeister der Waldgenossenschaft Hohe Mark), der Wegzug der Setzer und Drucker, meist nach Frankfurt. Ein Beispiel nennt die Bittschrift an den Rat der Stadt Frankfurt vom 8.Juni 1624: „Underthenigst bittet Johannes Lang von Ober Ursel, Buchdruckergeselle, jetzo allhie als ein Setzer in Paul Jacobs Druckerei arbeitend (also bereits in Frankfurt)“ um die Erteilung der Bürgerrechte. [IfS Ffm. Ratssupplikationen z.Dat.] Auch Wendel Meckel wird wieder in Frankfurt Arbeit gefunden haben.

Die Gründe, die 1557 zur Errichtung einer kleinen Druckerei in Ursel nahe bei Frankfurt geführt hatten und unter wechselnden Vorzeichen bis zum Beginn des 30jährigen Krieges bestanden, waren entfallen. Es gab keinen Bedarf mehr. Der Stadtbrand 1622 setzte ein sichtbares Signal für das Ende einer Werkstatt, deren Existenz unter veränderten politischen und wirtschaftlichen Bedingungen ihren Zweck verloren hatte.


Bücher aus Göttingen
Zwei Jahre nach der Stilllegung der Urseler Druckerei erscheinen zwei Folianten mit der Ortsangabe „Vrsellis“ (UD 527Z). Zwei typische Drucke von Nicolaus Henricus liegen zum Größenvergleich davor. (Aufnahme der Exemplare der UB Göttingen, Foto Manfred Kopp)

Noch einmal hat Anton Hierat, Verleger in Köln und seit Jahren immer wieder Auftraggeber für die Urseler Druckerei, im Jahr 1625 „Ursellis in Archiepiscopatu Moguntino“ auf das Titelblatt eines umfangreichen Werkes des Jesuiten Vincenz Filliuccius gesetzt (UD 527Z). Welche geschäftlichen Gründe ihn zu dieser Nennung geführt haben, bleibt im Dunkeln. Das Werk ist gewiß in Köln gedruckt worden, wie auch alle Neuauflagen in den folgenden Jahren. Auch der Name eines Druckers ist nicht genannt. Dass Hierat für die nächste Zukunft einen Neuanfang plante , ist unwahrscheinlich. Er starb im folgenden Jahr auf einer Reise von Köln nach Frankfurt.

Die Einmaligkeit dieser Ortsangabe und mit dieser Jahresangabe hat dazu geführt, dass häufig in heutigen Bibliographien der Wohnort des Verlegers Hierat, nämlich Köln, als Erscheinungsort genannt wird und der Druckort entfällt. „Ursellis“ ist endgültig verschwunden.


VD17
Das „Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts“ nennt „Ursellis“ als Druckort nicht mehr. (Ausdruck vom 18. Juli 2017)

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