Gedruckt zu Ursel

Halbjährliche Messzeitungen

Die Frankfurter Messen führten nicht nur Kaufleute zusammen, die Handel treiben und Geschäftspartner treffen wollten, es gab auch einen regen Austausch von Informationen. Es galt, die aktuelle Lage einzuschätzen und künftige Entwicklungen zu beurteilen. Abgesandte von Regierenden führten Verhandlungen, Professoren pflegten den Meinungsaustausch und Autoren warben für ihre Ideen und ihre Bücher. Gedruckte „Zeitungen“ ergänzten die mündlichen Informationen.

1583 hatte der Gelehrte Michael von Aitzing die erste „Relatio historica“ (historischer Bericht) in Köln veröffentlicht, die nicht eine einzelne Nachricht bot, sondern über einen längeren Zeitraum informierte. Zunächst betraf die Zusammenstellung von Dokumenten und Protokollen den Krieg um die Nachfolge im Erzbistum Köln, dann auch um das Reformationsrecht in der Stadt Aachen. Aitzing war entschiedener Katholik, der alle Nichtkatholiken generell als die „Unkatholischen“ bezeichnete, gleich ob Lutherische, Philippisten, Reformierte. Dies erregte nicht nur den Unwillen der Lutheraner im zentral gelegenen Frankfurt. Sie erkannten auch den Standortvorteil der dichteren Nachrichtenwege, der wachsenden Informationsmenge und die zunehmende Nachfrage bei den Messebesuchern.

So erschien für den Zeitraum von Herbst 1590 bis Fasten 1591 die erste Relation in Frankfurt. Ganz bewusst wies der Haupttitel auf die „unparteiische Beschreibung“, dann „ordentliche und unparteiische Beschreibung“, schließlich „Warhafftige Beschreibunge aller…“ hin. Dieses Wort war Programm und wurde ab Fasten 1592, der dritten Ausgabe, von einer Doppelzeile im Holzschnitt gedruckt.

Von der ersten Ausgabe an nannte sich der Verfasser „Jacobus Francus“. Das Pseudonym, das inzwischen für den lutherischen Pfarrer und Historiker Conrad Lautenbach aufgelöst ist, deckt nicht einen einzelnen Verfasser, sondern eine Gruppe von Beiträgern. Zu ihnen gehörte auch der französische Diplomat und Hugenotte Jacques Bongars, der in diesen Jahren in Frankfurt Dienst tat. Man kann sogar vermuten, dass das Pseudonym von seinem Namen abgeleitet ist: „Jacobus (Jacques) Francus (der Franzose)". (Ausführlich dazu G.Richter in: AGB Bd.7 (1967), Sp.693) Wortführer, gleichsam verantwortlicher Redakteur, in der Herausgabe aber war Conrad Lautenbach.


Conrad Lauterbach und Bongars
Links: Conrad Lautenbach (1534-1595) alias Jacobus Francus, Theologe und Historiker, luth. Prediger in Frankfurt.

Rechts: Jacques Bongars (1554-1612), frz. Diplomat im Dienst des Königs, Hugenotte.


Zur Gruppe gehörte auch Nicolaus Henricus. Was zunächst in seinem Verlagsprogramm wie ein Bruch und ein Neuanfang erscheint, der Druck der Frankfurter Messrelationen, hat seine Wurzeln in der Theologie der orthodoxen Lutheraner. Henricus war einer von ihnen, auch wenn er kein Theologe war. Immer wieder hat er in seiner Druckerei Werke gedruckt, die der Mahn- und Trostliteratur zuzurechnen sind. Luther galt als Prophet der Endzeit mit dem die Stunde der Offenbarung, der Jüngste Tag, nahegekommen war. Die Gläubigen waren aufgefordert, Gottes Handeln in der Gegenwart genau zu beobachten, zu deuten und ihr Tun davon bestimmen zu lassen. Schon vor 1590 hat Henricus 49 Drucke mit Mahnungen und Trostworten herausgebracht. Einige Zitate von den Erläuterungen auf den Titelblättern signalisieren dies:

„In diesen letzten trübseligen Zeiten/allen rechten Christen zum Trost und Besserung/wider das gantze Antichristische Reich/“ (UD 133)

„Darinnen er (d.i. Luther) den jetzigen kleglichen Zustandt Deutscher Nation/ die Zerstörung der Kirchen/Verfelschung der Lere/vielerlei grewliche Straffen Gottes/ den Jüngsten tag/und anders dergleichen mehr … zuvor verkündiget hat.“ (UD 155)

„ In diesen letzten wunderlichen vnd gefehrlichen Zeiten/zur Warnung/Lere vnd Trost/… (UD 170)

„ An alle Menschen/Im geistlichen/ weltlichen vnd Hausregiment/zu unsern letzten Zeiten/ da das Ende vnd Vntergang dieser schöden/bösen Welt/zunahet vnd für der Thüre ist“.(UD 177)


Viele der Autoren, deren Werke er unter die Presse nimmt, beklagen ihr ruheloses Leben in ihren Vorworten. Ob Flacius oder Wigand, ob Heshus oder Musäus, ob Spangenberg oder Irenäus, manche sind sechs, acht oder noch mehr Male vertrieben worden. Um des rechten Glaubens Willen erleiden sie ihr Los, aber sie haben auch die Gewissheit des Ewigen Heils. Im Vorwort zu seinem „Spiegel der Hellen vnd Zustand der Verdampten“ schreibt Christophorus Irenäus: „Das aber dieser ‚Spiegel der Hellen‘ so langsam in Druck verfertiget vnd kommen, das sind ein vrsach mein langwirige vnd vielfeltige Exilia, da ich im Elend ohne meine Bücher hab must vmbherziehen, vnd sonst andere hindernis mehr, so der Lügenvater vnd vnsers Heyls Feind, der Teuffel, durch Gottes verhengnis in Weg geworffen… Ich will Gott den Vater bitten vnd anrufen, das er mir Gedult vnd Bestendigkeit in meinen vielfeltigen Exilijs vmb Christi willen … aus dieser Elendsburg vnd Jammerthal in die ewige Ehrenburg vnd Freudensaal in Gnaden seliglich nehmen vnd von allem Vbel erlösen wollte.“ [UD 217, 1588, e4r+v.]

Predigten und Grabplatten
Links: Historia ... zu Trost und Warnung (UD 245) Predigten des Urseler Pfarrers Johannes Phyldius, 1593.

Rechts: Grabplatte des Johannes Phyldius in Essingen (Pfalz). Er war 27 Jahre Rektor, Diakon, dann Pfarrer in Oberursel. Bei der Rekatholisierung vertrieben, 1604.


Nicht in der strengen und entschiedenen Art der lutherischen Eiferer, aber doch mit ähnlicher Zielsetzung beschreibt Francus/Lautenbach in seiner zweiten Ausgabe die Bedeutung der Historie:

„Sintemal Gottes Will ist/daß wir nicht allein seiner gegenwertigen gutthaten/damit er uns täglich vberschüttet/sondern auch der straffen vnd plagen/damit er vns unserer sünden halben heimsuchet/fleissig vnnd eigentlich warnemmen/vnd dieselbe vnsern Kindern vnnd Nachkommen erzehlen/auff daß sie Gott förchten /vnd jhm für seine gutthaten dancken lernen/vnd es eine ewige schand ist/daß wir die alte vnd verjahrte Geschichten der Römer/Griechen/Teutschen vnd anderer Völcker in fernen Landen so begirlich lesen/vnd um der Nachkommen will nachtrucken/hergegen aber nicht wissen noch vernemmen sollen/was zu vnsern gegenwertigen zeiten in vnser Nachbarschafft/in vnser Statt vnd wohnung vorgangen/wo Gott entweder seinen Segen vnd gnad einem Land/Statt vnd Volk erzeiget/oder seinen zorn vnd straff erwiesen.“[UD 236, A2 r+v].


Nicht nur die inhaltliche Nähe zum bisherigen Urseler Verlagsprogramm, sondern auch im Blick auf die zu erwartende Ablehnung der Druckerlaubnis durch den Frankfurter Rat, empfahl sich wie so oft in der Vergangenheit, der Umweg über Ursel und Henricus. Eine Zeitung mit Berichten über lebende Personen, über das Verhalten unterschiedlicher Parteiungen oder kritische Infomationen konnten rasch zu Beschwerden führen. Gerade zwei Jahre vorher (1588) war in der Frankfurter Buchdruckerordnung erneut bestimmt worden: „10. Es soll auch kein buchtrucker etwas, auch das allergeringste nicht, es sei gleich zuuor gedruckt oder nit gedruckt worden, zu truckhen noch zuverlegen, sich undernemen, er hab es dann zuvor allerdings, wie ers zu trucken bedacht ist, einem erbaren rath zu besichtigen übergeben und dessen austruckliche erlaubnus vnd vergünstigung darüber erlangt, daz ers trucken möge, … Würde ein trucker dises Überschreitten, der soll an leib gestraft werden.“[Schmidt, S.150]. Prompt erschienen auf dem Markt Schriften, die Meldungen des „ertichten Jacobus Francus in seiner vermeinten Historischen Continuation nicht getrewlich erzehlt hat"( so 1593.), und Verleger Brachfeld musste Beschlagnahmen in Frankfurt nach 1595 hinnehmen.

Von der ersten Ausgabe 1591 an wird in heutigen bibliographischen Beschreibungen Paul Brachfeld als Verleger der Relationen genannt. Der tritt aber erst 1595 als Buchhändler und Antragsteller für eine fünfjährige Zusammenfassung auf. Er wollte in das rasch wachsende Geschäft mit einsteigen und nutzte die preiswerten Sammelausgaben, für die keine aufwendige Materialbeschaffung mehr nötig war. Er nimmt gegen über dem Rat weder auf eine bisherige Mitwirkung, noch eine verlegerische Beteiligung Bezug. Außerdem hat Nicolaus Henricus alle seine Bücher selbst verlegt. Nur dreimal nennt er seinen Freund Peter Braubach ausdrücklich als Verleger. Auch bei den Relationen handelt er in eigener Verantwortung. Der dokumentarische Beleg ist im Frankfurter Bürgermeisterbuch vom Frühjahr 1595 zu finden. Dort heißt es: „Als anbracht es hab Johan Saur (Frankfurter Buchdrucker) ein Buch, intitulirt Relatio Historica Jacobi Franci vbergeben, vnd begere solches zu trucken, welches herr Conrad Lautenbach Predicant censiert vnd approbiert. Nun werde man berichtet, dz aber er Lautenbach vnder dißem verdeckten Namen der Author libri seye, hette man solches zu erlauben bedenkens gehabt. Soll man herrn Conrad sagen, wo er bedenken hat seinen rechten Namen vf das Buch zu setzen, möge ers zu Vrsell trucken lassen, da es dan vorhijn auch gedruckt worden.“ [IfS Ffm, Bürgermeisterbuch 1595, Bl.181a]


Titelblatt und Kupferstich aus Messzeitung
Links: Titelblatt für die Messzeitung (UD 258), Ursel Herbst 1594, Ausgabe mit Kupferstichen.

Rechts: Hier als Beispiel: Belagerung und Einnahme der Festung Gran an der Donau, Christen gegen Türken, Juli 1594.


Für die Zuweisung der Mess-Relationen von 1591 bis Fasten 1595, spätestens bis Fasten 1596, zum Druckort Ursel kann ich verschiedene Hinweise nennen. So habe ich bei einer Verzettelung der einzelnen Meldungen zunächst auch die Kategorie „Kirche ev.“ eingerichtet. Es gab Meldungen, die dieser Kategorie zuzuordnen waren, aber nach den ersten Ausgaben verschwand dieser Aspekt. Es vollzog sich eine kirchlich-konfessionelle Neutralisierung. Die Verbindung zum rechten christlichen Glauben wurde aber im Druckvermerk signalisiert:

1591: Gedruckt im Jahr nach der Jungfrawen Geburt
1591: Gedruckt im Jahr nach Christi Geburt
1592: Gedruckt im Jahr nach Christi Geburt
1592: Gedruckt im Jahr nach Christi Geburt
1593: Gedruckt im Jahr vnsers HERREN Jesu Chisti
1593: Gedruckt zu Ursel im Jahr nach Christi Geburt
1594: Gedruckt zu Ursel durch Nicolaum Henricum
1594: Gedruckt zu Ursel im Jahr
1595: Gedruckt zu Ursel durch Nicolaum Henricum.


Von da an verschwindet der Name Ursel und der fingierte Name Wallstatt tritt an seine Stelle. Der Satzfehler in der Jahresangabe bei der Ausgabe Fasten 1595 (M.D.CXV. = 1615 statt M.D.XCV.= 1595) wird erst zum Herbst 1596 richtiggestellt. Zu dieser Zeit verschwinden auch die bisher genutzten Holzschnitt-Titelleisten.

Bei meinen Nachforschungen bin ich zunächst einer Tradition gefolgt, die für die nächsten Jahre Wallstatt mit Ursel auflöst. Heute bin ich der Überzeugung, dass der bald nach dem Erscheinen der Fastenausgabe 1595 erfolgte Tod Conrad Lautenbachs und das nachfolgende Engagement Paul Brachfelds die Beteiligung von Nicolaus Henricus beendet hat. Im Sommer 1595 war ein Kampf um Marktanteile auf dem Sektor der Mess-Relationen entbrannt, der durch zahlreiche Nachdrucke eine verwirrende Vielfalt bietet. Erst die Aufnahme aller heute noch nachzuweisenden Ausgaben durch Dr. Esther-Beate Körber und dem DFG-Projekt dazu wird eine bessere Beurteilung ermöglichen. Das Ergebnis wird Ende 2017 vorliegen.

Bei meiner Lektüre der Relationen bin ich auf eine Kuriosität gestoßen: In der Ausgabe vom Herbst 1591, die noch ohne Angabe des Druckortes war, habe ich folgende Meldung gelesen: „Als nun in nechstverschienen Junio/eine grosse menge Kriegsvolks zu Roß und Fuß/in Thüringen … und anderswo geworben/… haben sie sich im Julio vmb Gelnhausen herumb versamlet/vnnd jhres Obersten deß Fürsten (Christian) von Anhalt erwartet … hat er das Volck fortgeschickt/ und sich vmb Hanau/Ursell/unnd Franckfurt am Mayn in den Dörfern lagern lassen …“ [UD 232, S. J1v.] Der Setzer hatte wohl selbst erlebt, was in seinem Wohn- und Arbeitsort Ursell geschehen war und wollte dies doch ausdrücklich dokumentieren.


Zeitung zu Himmelserscheinungen in Creutznach
Neben den Messzeitungen druckte Henricus auch einzelne Zeitungen, wie hier eine Ausgabe zu Himmelserscheinungen in Creutznach, März 1592 (UD 234) mit einem Holzschnitt illustriert (Rechts).

© 2024 - Manfred Kopp